Opfergaben an die Götter der Bronzezeit

Opfergaben an die Götter der Bronzezeit
Opfergaben an die Götter der Bronzezeit
 
Die Ausstattung jungsteinzeitlicher Kulträume und die darin geborgenen Funde ermöglichen heute der Forschung zumindest indirekte Rückschlüsse auf Kulthandlungen und Opferpraktiken. Es zeigt sich, dass in der Regel Monumentalbüsten die zentralen Kultobjekte waren. Mit Tierköpfen geschmückte Postamente und Opfertische sind aus den Kulträumen von Çatal Hüyük (Türkei) und von Parţa (südwestlich von Timişoara, Rumänien) bekannt. Herdplatten in den Kulträumen von Parţa, Kormadin (bei Belgrad, Jugoslawien) und Vésztő (nordöstlich von Békéscsaba, Ungarn) und in deren Nähe nachgewiesene Aschereste oder mit Asche gefüllte Gruben lassen vermuten, dass dort Opfergaben verbrannt worden sind. Im Kulthaus von Parţa wurden in der Nähe dieser Brandopferplätze durch Lehmwände gegliederte Kojen freigelegt, in denen offensichtlich Opfergaben niedergelegt worden waren. Der Ausgräber James Mellaart konnte in den Kulträumen von Çatal Hüyük verschiedentlich aufgehäufte Getreidekörner nachweisen, die er als Opfergaben deutete. Es ist dies eine Form des unblutigen Opfers, für das es von zahlreichen anderen Kult- oder Opferplätzen ebenfalls direkte oder indirekte Belege gibt. So werden beispielsweise auch Reibeplatten in den Kulträumen von Parţa, Kormadin und Vésztő mit dem rituellen Zermahlen von Getreide in Verbindung gebracht.
 
In Moldawien wurde bei Sabatinowka ein Kulthaus der Tripoljekultur untersucht. Dieser etwa 70 m2 große, rechteckige Lehmbau barg nicht nur die Reste einer6 m langen und 2,5 m breiten Lehmbank, auf der über 20 tönerne Frauenfiguren gefunden wurden, sondern es lagen zwischen einem Ofen und der südlichen Längswand des Hauses auch fünf Mahlsteine in einer Reihe. Neben jedem Mahlstein befand sich eine sitzende weibliche Tonfigur. Hinter dem Ofen stand eine mit Stierknochen gefüllte Schüssel. Die Knochen wiesen stellenweise Brandspuren auf. Sie könnten Ausdruck des blutigen Opfers sein, das oftmals mit dem unblutigen verbunden war. Auch in anderen Heiligtümern (z. B. Cǎscioarele, bei Olteniţa, Bezirk Bukarest, Rumänien) oder in Tonmodellen von Kulthäusern (Popudnia, nördlich von Uman, Ukraine; Ovčarovo, Bezirk Tǎrgovište, Bulgarien) wurden Reibeplatten oder Nachahmungen von Mahlsteinen gefunden, und sie finden sich ebenso in Opfergruben oder in kultisch zu interpretierenden Depositgruben, die Kulturpflanzenreste (unblutiges Opfer), Reste von menschlichen und tierischen Skeletten (blutiges Opfer) sowie Kultgegenstände enthalten. Ascheschichten in diesen Gruben bezeugen die Verwendung des Feuers im Kult. Und auch aus linienbandkeramischen Siedlungen Mitteleuropas sind vollständig erhaltene oder nicht selten absichtlich zerbrochene Reibeplatten nachgewiesen, die in Gruben niedergelegt worden waren.
 
Bei Eilsleben (Bördekreis, Sachsen-Anhalt) wurde im Graben, der eine Siedlung der ausgehenden Linienbandkeramik umgab, ein 6000 Jahre alter Befund untersucht, der den Zusammenhang zwischen unblutigem und blutigem Opfer verdeutlicht: Neben einer Feuerstelle lagen neun Fragmente von insgesamt acht zerschlagenen Reibeplatten; nur wenig darunter fand sich der Schädel eines weiblichen Rindes mit Schlagverletzung an der Stirn. Wiederum 20 cm unter dem Schädel wurde das Skelett einer wahrscheinlich ursprünglich gefesselten, etwa 17-19jährigen Frau in extremer Hockstellung gefunden. Auch wenn die Anthropologen keinerlei Schnittspuren oder andere Verletzungen am Skelett nachweisen konnten, wird man annehmen müssen, dass diese Frau geopfert worden ist. Im norddeutschen und skandinavischen Verbreitungsgebiet der Trichterbecherkultur waren Manipulationen an menschlichen Skeletten ebenfalls nicht selten.
 
Menschenschädel sind nicht nur aus dem »Geierheiligtum« von Čatal Hüyük oder aus Hacɪlar (Türkei) bekannt, sondern auch aus der ungarischen Jungsteinzeit oder aus dem Verbreitungsgebiet der linienbandkeramischen Kultur in Mitteleuropa. Die Schädel stammen oftmals von Kindern, sodass Überlegungen angestellt wurden, ob es sich hier um das blutige Opfer von Erstgeborenen (»Primitialopfer«) handelte. Daneben sind zum Beispiel aus linienbandkeramischen Siedlungen Teilopfer (»Pars-pro-toto-Opfer«) mit menschlichen Händen und Füßen belegt. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Opferpraktiken mit Manipulationen an Leichnamen zu verbinden sind, die regulär auf Gräberfeldern bestattet wurden und denen die Köpfe, Hände oder Füße fehlen. In dem Gräberfeld der Lengyelkultur von Zengővárkony nordöstlich von Fünfkirchen (Ungarn) waren verschiedentlich Männer ohne Kopf bestattet worden.
 
Geopfert wurde an außergewöhnlichen Stellen, an denen man sich die Gottheit gegenwärtig dachte, so in der Erde, in Höhlen, auf Berggipfeln, im Wasser oder im Moor - letzteres ist besonders für die norddeutsche und skandinavische Trichterbecherkultur und für die Bronzezeit charakteristisch. Geopfert wurde dort, wo sich die göttliche Macht Furcht erregend gezeigt hatte, an Plätzen, um die sich Mythen rankten, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden und die dazu beitrugen, dass dort immer wieder Opferhandlungen vorgenommen wurden. Solche Opferplätze waren beispielsweise die »Berglitzl« bei Gusen am nördlichen Donauufer zwischen St. Georgen und Mauthausen oder die »Jungfernhöhle« bei Tiefenellern, Gemeinde Litzendorf bei Bamberg, aus der Skelettreste von 38 Individuen, wohl Überreste jährlich dargebrachter Menschenopfer, geborgen wurden. Mit nur einer Ausnahme handelte es sich um Skelettreste von Frauen und Kindern. Schädelverletzungen deuten auf eine absichtliche Öffnung hin; bei den Extremitätenknochen waren nicht selten die Gelenkenden abgeschlagen. Die Schneidezähne der meisten Kiefer waren gezogen worden. So fehlten mindestens 500 Vorderzähne, von denen lediglich 21 in der Höhlenfüllung aufgefunden wurden. Möglicherweise wurden sie - wie 29 durchbohrte Menschenzähne aus einer linienbandkeramischen Grube bei Werneck-Zeuzleben in Franken - an Halsketten getragen: Menschliche Unterkiefer und Zähne genossen im jungsteinzeitlichen Kult eine besondere Wertschätzung.
 
Stets wurde den Göttern das Wertvollste geopfert, wobei Zerstörung der Opfergabe ein wichtiger Bestandteil der kultischen Handlung war. Zerstören und Deponieren wie Vergraben oder Versenken in sakralen Bereichen bedeuteten, dass die Gabe nicht mehr zurückgenommen, also nicht mehr profanen Zwecken zugeführt werden konnte und durfte.
 
Wem diese Opfergaben dargebracht, wer in Kulthäusern und Heiligtümern verehrt wurde, kann auch nicht annähernd zuverlässig beantwortet werden. Ob es sich bei den halb- oder vollplastischen Monumentalstatuen von Čatal Hüyük, Parţa, Kormadin und Vésztő um Abbilder von bestimmten Göttern handelt oder um Symbole der Fruchtbarkeit schlechthin, lässt sich nicht zweifelsfrei entscheiden. Die weiblichen Monumentalplastiken in der Jungsteinzeit Kleinasiens und Südosteuropas werden mit der »Großen Mutter« (Magna Mater) beziehungsweise mit der Erdgottheit (Mater Gea) in Verbindung gebracht. Dass es sich dabei um die symbolische Wiedergabe einer numinosen, übernatürlich wirkenden Kraft handelt, wäre insofern denkbar, als für das Heiligtum von Parţa - wie auch für die mitteleuropäische Linienbandkeramik und für nachfolgende jungsteinzeitliche Kulturgruppen - die Verehrung der Sonne, des Mondes, aber auch des Fruchtbarkeit bringenden Regens belegt ist. In der spätneolithischen Schönfelder Kultur Mitteldeutschlands stand die Sonne (die als Symbol auf den charakteristischen Schalen dieser Kultur erscheint) und damit das Feuer im Mittelpunkt des Kultes, und folglich wurden die Toten in dieser Kultur generell verbrannt. Die Verehrung der Sonne und die Nutzung des Feuers im Kult setzten sich in der Bronzezeit fort, wovon beispielsweise der »Sonnenwagen« von Trundholm, der »Sonnenstein« von Harpstedt und die zahlreichen spätbronzezeitlichen Kultfeuerplätze in Dänemark und Norddeutschland Zeugnis ablegen.
 
Wenngleich auch Berge und Felsen als heilige Stätten verehrt wurden, finden sich zumindest die archäologisch nachweisbaren Opfergaben vor allem in Gruben, im Moor, in Felsspalten und in Höhlen. Das spricht dafür, dass möglicherweise eine Erdgottheit oder gar die Erde selbst als Fruchtbarkeitsspenderin göttliche Verehrung genoss. Seit Beginn der mitteleuropäischen Jungsteinzeit wurden den Gottheiten neben Kulturpflanzen auch andere unblutige Opfer, beispielsweise Steingeräte, Bernstein- und Metallschmuck dargebracht, ein Brauch, der über die gesamte Bronzezeit mit der Deponierung von Geräten und Schmuck aus Bronze anhielt.
 
Spielte das Menschenopfer als blutiges Opfer im Fruchtbarkeitskult zu Beginn des Neolithikums eine vorherrschende Rolle, so wurde mit der Trichterbecherkultur die Opferung von Tieren gebräuchlich. Dennoch war das Menschenopfer bis in die Bronze-, ja sogar bis in die Eisenzeit üblich.
 
Ein besonderes Phänomen stellen in diesem Zusammenhang die menschen- und tiergestaltigen Kleinplastiken aus Ton dar. Da es sich bei den menschengestaltigen Statuetten meist um weibliche Figuren handelt, sind sie früher als Ausdruck des für die frühe Jungsteinzeit vermuteten Matriarchats, der herausragenden Stellung der Frau in der Gesellschaft, und bis heute als Abbilder von Gottheiten, als »Götzenbilder« oder »Idole«, gedeutet worden. Bemerkenswerterweise bergen die Archäologen diese Statuetten in der Regel nur im fragmentierten Zustand. Das ist einer der Gründe dafür, weshalb diese Tonstatuetten wohl als Ersatz für Menschenopfer anzusehen sind. Möglicherweise wurde das Menschenopfer in der Jungsteinzeit nur bei jährlich sich wiederholenden Kultzeremonien der ganzen Gemeinschaft dargebracht, während bei häuslichen Kulthandlungen in den Familien anstelle des Menschenopfers die in den Kultecken aufgestellten Tonstatuetten symbolisch »getötet« beziehungsweise zerbrochen wurden. In der Regel sind nur Teile dieser Tonstatuetten in den Gruben innerhalb der Siedlungen gefunden worden, andere Teile mögen auf den Äckern vergraben worden sein. Die Sitte, den Göttern Tonfiguren als Ersatz für Menschen- oder Tieropfer darzubringen, ist für Çatal Hüyük ebenso zu belegen wie für die gesamte europäische frühe Jungsteinzeit.
 
Sowohl im Fruchtbarkeitskult als auch im Totenkult gab es neben dem Brandopfer auch Libationsopfer, das sind Trankopfer oder Weihegussriten. Hinweise dafür begegnen in Europa und im mediterranen Raum seit dem Beginn der Jungsteinzeit, später auch für die Trichterbecherkultur und die Bronzezeit. Schälchensteine von bronzezeitlichen Gräberfeldern werden ebenso mit Libationsriten im Totenkult in Verbindung gebracht wie Trankopfer für Verstorbene in eisenzeitlichen Grabanlagen.
 
Der neolithische Fruchtbarkeitskult war von Anbeginn eng mit dem Totenkult verbunden. In Çatal Hüyük fanden sich im »Geierheiligtum« neben eindeutigen Hinweisen auf den Kult der Toten auch Bestandteile eines Fruchtbarkeitskultes, unter anderem tönerne Frauenbrüste an den Wänden; die Lebenden schliefen auf Bänken, unter denen die Toten bestattet waren. Diese enge Verbindung zwischen der Welt der Lebenden und der der Toten lässt sich über die mitteleuropäische Linienbandkeramik bis in die westeuropäische Megalithkultur verfolgen. Sie zeigt sich in dem phallisch gestalteten und zugleich mit dem Symbol der »Dolmengöttin« verzierten Menhir von Langeneichstädt, Kreis Merseburg-Querfurt (Sachsen-Anhalt), der in der Steinkammer eines Grabes der späten Trichterbecherkultur verbaut wurde. Auch noch für die Eisenzeit sind Zeugnisse belegt, so die unblutigen (Kulturpflanzenreste, Schmuck, Ton- und Metallgefäße) und blutigen Opfer (zwei abgeschlagene, von Schmuck gezierte Frauenhände auf einem »Altar«, menschliche Schädel, Schädelkalotten und andere Menschenopfer) an der Grabstätte eines »Fürsten« aus der Hallstattzeit in der Býčí-skále-Höhle (Stierfelsenhöhle) im mährischen Karst nördlich von Brünn.
 
Seit dem Beginn der Jungsteinzeit wurden den Göttern blutige und unblutige Opfer dargebracht. Es entzieht sich jedoch unserer Kenntnis, ab welchem Zeitpunkt personifizierte Gottheiten verehrt wurden. Zweifelsohne waren auch die Gestirne und die Naturgewalten Gegenstand göttlicher Verehrung. Brandopfer, Weihegussriten und Trankopfer sind sowohl für den Fruchtbarkeitskult als auch für den Totenkult belegt. Diese noch in der Bronze- und Eisenzeit, ja selbst in der antiken Welt üblichen Opferbräuche mit den ihnen innewohnenden religiösen Vorstellungen hatten ihre Wurzeln also bereits in der Jungsteinzeit des östlichen Mittelmeergebietes und Europas.
 
Dr. Dieter Kaufmann

Universal-Lexikon. 2012.

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